Aus: Geschwister Tanner, gelesen von Isabelle Freymond
Von der Schule habe ich keine grosse Erinnerung mehr, aber ich weiss, dass sie mir eine Art Entgeltung wurde für die kleine Zurücksetzung, die ich im elterlichen Haus erfuhr: ich konnte mich auszeichnen. Es war mir eine Genugtuung, gute Zeugnisse nach Hause zu tragen. Ich fürchtete die Schule und verhielt mich infolgedessen dort brav; ich blieb in der Schule überhaupt immer zurückhaltend und zaghaft. Die Schwächen der Lehrer blieben mir indessen nicht lange verhüllt, doch kamen sie mir mehr schrecklich als lächerlich vor. […] Im Religionsunterricht entzückte ich einmal meinen Lehrer, weil ich für eine bestimmte Empfindung ein bestimmtes treffendes Wort fand; auch das ist mir unvergesslich geblieben. In verschiedenen Fächern war ich überhaupt sehr gut, aber es war immer beschämend für mich, als Muster dazustehen, und ich bemühte mich oft förmlich, schlechte Resultate zu erzielen. Mein Instinkt sagte mir, dass mich die Überflügelten hassen könnten, und ich war gerne beliebt. Ich fürchtete mich davor, von den Kameraden gehasst zu werden, weil ich das für ein Unglück hielt. Es war in unserer Klasse Mode geworden, die Streber zu verachten, deshalb kam es öfters vor, dass sich intelligente und kluge Schüler aus Vorsicht einfach dumm stellten. Dieses Verhalten, wenn es bekannt wurde, galt als musterhaftes Betragen unter uns, und in der Tat, es hatte wohl einen Anstrich von Heroismus, wenn auch in missverstandenem Sinne. Von Lehrern ausgezeichnet zu werden, war also mit der Gefahr der Missachtung verbunden. Welch eine seltsame Welt: die Schule.