Robert Walsers Biel Français

7. Sonntags

Seevorstadt, Pavillon FelsEck

Aus: Kleine Dichtungen
Der Felsen
, gelesen von Rolf Hermann

Sommerabend war’s. Die Luft war mild. Ein lindes, leises Lüftchen wehte über den Felsen, auf welchem der weisse Pavillon steht. Er gleicht einem kleinen griechischen Tempel, und man kann ihn schon aus weiter Ferne sehen, wie er so schlank aus dem grünen Gebüsch hervorragt. Der Felsen erhebt sich steil über dem Rand unseres Sees. Nur schmale Fusspfade führen über ihn, und daher muss man sorgsam auf die Schritte achtgeben. Heute am schönen Sommerabend standen allerlei stille Leute, Männer wie Frauen, am Geländer beim Pavillon und schauten in die farbige abendliche Tiefe hinunter, wo der See in seinem Glanze lag, von der Wärme und von den Abendwinden umstreichelt. Das Wasser glich einem süssen Spiegel an sanfter schimmernder Unbeweglichkeit, und die da hinabschauten, vermochten mit den Augen kaum aufmerksam und innig genug zu schauen und sich in das schöne grosse Bild zu versenken. […] Alles so weit, still und warm. Der leise Wind wehte aus unbestimmbarer Ferne wie schüchtern daher […]. Unbeschreiblich und unfassbar schön war es, wie das Dunkel nach und nach zunahm und die Tageshelle sich in dem dunklen Golde verlor. […] Aus dem See herauf klangen Stimmen und Liedertöne, und dazwischen drang der Ton einer Handharfe warm und wundersam zum Felsen hinauf, von welchem aus man die Boote und Gondeln unten auf dem lieben Wasser hin und her gleiten sehen konnte. Auf einem Felsvorsprung, der ein kühnes, graziöses Lustplätzchen bildete, lagen ein Mädchen und ein Bursche eng beieinander, die sich in der Sommerabendschönheit glücklich fühlten.