Robert Walsers Biel Français

8. Fernweh

Strandboden, See

Aus: Träumen – Prosa aus der Bieler Zeit
Am See
, gelesen von Rolf Hermann

Ich ging eines Abends nach dem Abendessen rasch noch zum See hinaus, der, ich weiss nicht mehr deutlich von was für einer regnerischen Melancholie, dunkel umhüllt war. Ich setzte mich auf eine Bank, die unter den freien Zweigen eines Weidenbaumes stand, und indem ich mich so einem unbestimmten Sinnen überliess, wollte ich mir einbilden, dass ich nirgends sei, eine Philosophie, die mich in ein sonderbares reizendes Behagen setzte. Herrlich war das Bild der Trauer am regnerischen See, in dessen warmes graues Wasser es sorgfältig und gleichsam vorsichtig regnete. Der alte Vater mit seinen weissen Haaren stand in Gedanken vor mir, was mich zum nichtsbedeutenden, schüchternen Knaben machte, und das Gemälde der Mutter verband sich mit dem leisen, lieblichen Plätschern der zarten Wellen. Mit dem weiten See, der mich anschaute wie ich ihn, sah ich die Kindheit, die auch mich anschaute wie mit klaren schönen guten Augen. Bald vergass ich ganz, wo ich war; bald wusste ich es wieder. Einige stille Leute spazierten behutsam am Ufer auf und ab, zwei junge Fabrikmädchen setzten sich auf die Nachbarbank und fingen an, miteinander zu plaudern, und im Wasser draussen, im lieben See draussen, wo das holde, heitere Weinen sanft sich verbreitete, fuhren in Booten oder Nachen noch Liebhaber der Schiffahrt, Regenschirme über den Köpfen aufgespannt, ein Anblick, der mich phantasieren liess, ich sei in China oder in Japan oder sonst in einem träumerischen, poetischen Land.