Aus: Geschichten Wenzel, gelesen von Rolf Hermann
Es ist Neujahrsabend, und wir befinden uns im Stadttheater […] Es wird feurig gespielt, wenigstens findet das Wenzel, ein junger Drahtfabriklehrling von ungefähr siebzehn Jahren. Er steht oder sitzt oben auf der Galerie, von der es allgemein heisst, sie drohe nächstens zusammenzustürzen. Der Gemeinderatspräsident visitiert mit Spazierstock und Augenmerk die Galeriebrücke schnell und bündig, dann geht er in seine Loge hinunter, die Schaukel und Hängebrücke wird für diese Nacht schon noch fest genug halten. Wie herrlich aufregend diese «Räuber» sind, und wie gehagelt voll das Theater ist! Etwas Grünes hat man auf der Bühne gesehen; das ist der Amaliapark gewesen, ein Degen ist blitzend gezogen worden, und ein dünnbeiniger Schurke Franz hat sich auf seine Fersen gelegt, das heisst, er hat vor dem Weib in Schwarz die Flucht ergriffen. Hundertfach schön sind die Worte gewesen: «Könige sind Bettler, Bettler Könige!» Wenzel hat gezittert. Dann hat es eine Nachtszene gegeben, mittelalterlich angehaucht, Franz ist im Nachthemd hervorgedechlet, von Gespensterfurcht gejagt. Und wie er sich dann solchermassen, wie es der Autor vorgeschrieben hat, benimmt, sich am Boden wälzt und ungeheuerliche Worte ausspricht, brüllt ein Uhrschalenmacher von der Galerie hinunter: il est fou! Daraufhin gibt es einen Tumult. […] und der Franz-Mime wirft von unten her einen zündenden, edlen Blick auf die Höhenszene hinauf. «Wie wenig Verständnis gibt es doch in der Welt für die hohe Kunst», denkt Wenzel. Von da an ist sein heimlicher Entschluss gefasst: er will Schauspieler werden.